Ökumenisch in Langwasser

Kirche in Veränderung

Dr. Hubertus Schönemann am 27.09.2022 in der Paul-Gerhardt-Kirche Nürnberg-Langwasser (Foto: Ulrike Pilz-Dertwinkel)

Neue Kirchengestalt(en) als Chance: Formen, Formate, Gemeinschaftsleben 2040

Nachbericht zum Impulsabend mit Dr. Hubertus Schönemann, KAMP Erfurt im Rahmen der Reihe FOKUS Ökumene am 27.09.2022 in der Paul-Gerhardt-Kirche Nürnberg.

Es ist offensichtlich: Kirchen in der Form, wie die meisten von uns sie aus unserer Kindheit und Jugend noch kennen, gibt es heute nicht mehr: Ein Pfarrer und seine Gemeinde, Sonntagsgottesdienste vor vollen Bänken, Gemeindehäuser, in denen sich Gruppen und Kreise die Tür in die Hand geben. In jener Zeit sind die Kirchen in Langwasser entstanden, das ökumenische Kirchenzentrum als jüngstes wurde 1986, also zur vollen Blütezeit dieses Kirchenverständnisses, eingeweiht.

Heute stehen wir vor meist leeren Gottes- und Gemeindehäusern, führen mangels Pfarrstellen und Personal einzelne Gemeinden zu größeren Pfarreien zusammen und beobachten mit Sorge den ansteigenden Altersdurchschnitt von Ehrenamtlichen und Kirchenbesuchern. Angesichts zahlreicher Kirchenaustritte ist eine Umkehr zu den „guten alten Zeiten“ nicht mehr zu erwarten.

Ein Blick in die Welt zeigt weitere Krisen: Pandemie, Krieg, Klimawandel, Nachhaltigkeit, Globalisierung, Digitalisierung, Migration, Inflation, Wirtschaft, Ressourcen, Fachkräfte, Lieferketten: Nichts scheint mehr von Bestand zu sein und überall stehen wir vor großen Aufgaben. Wie kann man sich in dieser Zeit des gesellschaftlichen Wandels neu zurechtfinden? Hubertus Schönemann vergleicht die aktuelle Situation mit der Lage der Menschen in Ostdeutschland nach dem Mauerfall: Erst heute, 30 Jahre später, kann man behaupten, dass sich die Gesellschaft dort neu „zurechtgeruckelt“ hat. Transformationsprozesse sind nicht planbar. Sie suchen sich ihren eigenen Weg und brauchen einfach ihre Zeit.

Sozio-kulturelle Veränderungen verändern aber auch das Religionssystem und die Rolle seiner institutionellen Repräsentanz. Das Ethische und Emotionale, sowie Lebensstil und Zugehörigkeit rücken in den Vordergrund, die Dogmatik spielt dabei weniger eine Rolle. Man beobachtet die Bildung einer Vielfalt religiöser Ausdrucksformen jenseits von Kirchenmitgliedschaften. Der tschechische Soziologe Tomáš Halík, Religionsphilosoph und römisch-katholischer Priester, bringt in seinem Buch „Der Nachmittag des Christentums – eine Zeitansage“ die Sache auf den Punkt: „Das Christentum der Spätmoderne ist in eine gewisse kulturelle Obdachlosigkeit geraten, was eine der Ursachen der jetzigen Krise ist. Der christliche Glaube sucht sich in dieser Zeit des Wandels kultureller Paradigmen erst noch eine neue Form, ein neues Zuhause, neue Ausdrucksmöglichkeiten, neue gesellschaftliche und kulturelle Aufgaben und neue Verbündete.“

Im gut gefüllten Gemeindesaal der Paul-Gerhardt-Kirche skizziert Hubertus Schönemann an diesem Abend seine Vision einer modernen Kirche, ohne unnötigen Ballast, aber mitten unter den Menschen. Wenn Menschen nicht in die Kirche gehen, muss Kirche eben zu den Menschen gehen. Zukunftsfähig sei eine Kirche, die ihre Türen öffnet, um herauszugehen. Christus klopft an die Tür, aber nicht, um hineinzugehen, sondern um diese zu öffnen und herauszukommen. So können Menschen direkt erleben: Christinnen und Christen geht es darum, dass es den Menschen gut geht. Auf diese Weise hat jeder Ort in der Gesellschaft, an dem Menschen leben und wirken, das Potential ein Ort des Evangeliums zu werden und damit ist Kirche präsent: in Kindergärten und Schulen, auf Straßen und Plätzen, am Bahnhof und unter der Brücke, in Gruppen und Kreisen, bei Wanderungen, beim Diskutieren und Musizieren und vielem mehr. Überzeugte Christinnen und Christen leben authentisch die Botschaft Jesu und bringen so ihren Glauben in die Gesellschaft hinein. Der Sendungsauftrag der Kirche wird zur Mission jedes einzelnen. Er lebt davon, kulturell anschlussfähig, bedeutsam und glaubwürdig zu sein. Mehr Lebensstil als Moral und Dogmatik.

Getragen werden die Ehrenamtlichen dann von einem Team Hauptamtlicher, die sie an ihren Wirkungsorten begleiten und unterstützen: In Kindergärten, in der Schul- oder Citypastoral, in der verbandlichen Jugendarbeit, Hochschulgemeinde, in Caritas- und Diakonie-Einrichtungen, bei der Krankenhausseelsorge, im Eine-Welt-Café, im Team für Familiengottesdienste, Gebetskreis und vielen weiteren Projekt- und Aktionsgruppen. So entsteht das Bild einer lebendigen Kirche, die mit ihrer bewährten Botschaft auch in Zukunft den Menschen in all ihren Lebenslagen Halt geben kann. Ein schönes Bild, aber wie kommt man dahin?

Nun zitiert Schönemann den Jesuitenpater Alfred Delp SJ (1907-1945): „Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. (…) In allem will Gott Begegnung feiern …“ Demnach müssten wir lernen, die richtigen Fragen zu stellen: „Was braucht es, damit die Gute Botschaft von Gott aufscheint und erlebbar wird?“ Dabei geht es nicht um das, was eine Pfarrei braucht, sondern um das, was die Menschen brauchen. Wer wollen wir in Zukunft als Kirche in Langwasser sein? Gibt es bei uns bereits Orte des Evangeliums und wie können wir diese ausbauen, fördern und ergänzen?

Mit dem trostreichen Wort „Gott kommt uns entgegen“ (Gotteslob 807) ermutigte Hubertus Schönemann sich auf den Weg zu ihrer neuen Kirche für Langwasser zu machen.

Konnte man während des Impulsvortrags eine Stecknadel fallen hören, so gebannt folgte das Publikum den Ausführungen des Referenten, gab es im Anschluss lebhafte Gespräche. Zunächst im Plenum, dann beim  Stehempfang im benachbarten Foyer noch lebhaft weiter. Die Anregungen des Abends stießen auf offene Ohren.

Ilona-Maria Kühn